Bin mal abgetaucht. Ziemlich genau vier Wochen. Und dann wieder aufgetaucht: Mit einem Lied, dass ich am 22. November 2015 geschrieben habe und das, seit 22. Dezember 2015, über alle großen Online-Verkaufsplattformen als mp3-Download erhältlich ist! LiSTEN!
Warum ich abgetaucht bin? Weil mich diese Bilder nicht mehr losgelassen haben. Junge Menschen, die sich Sprengstoffgürtel um die Hüften schnallen, Kinder, die im Mittelmeer ertrinken, Säbelgerassel, Klimakatastrophe und soviele Lügen…. Nichts von dem, was ich zum Zeitpunkt der Anschläge in Paris blogbeitragstechnisch geplant hatte, erschien mir noch angemessen. Alles zu profan.
Eine ganze Woche hab‘ ich gerungen. Recherchiert, geschrieben, reflektiert, wieder geschrieben, um immer deutlicher zu erkennen, dass ich über den Kopf mit den Dramen nicht klarer werde. Weil er keinen Raum für meine Gefühle lässt. So übervoll mit unbegreiflichen Informationen. Ein Packen, wie dieser, lässt sich meinerseits nicht so leicht verdrängen. Und wenn ich mein Fühlen und meine Fragen zu all dem nicht kanalisieren kann, kippe ich entweder in Trauer oder Wut – ohnmächtig auf alle Fälle. Weil ich Ohnmacht aber überhaupt nicht leiden kann, sucht sich genau das in mir ein Ventil. Musik zum Glück…
Am Samstag, dem 21. November 2015 entscheide ich, keinen der Texte, die ich die Woche über in die Tasten gehauen habe, auf meinem Blog zu veröffentlichen und stattdessen ein Lied zu schreiben. Dann geh ich in die Wanne und während ich mich in Lavendelduft tiefenentspanne, wandert die erste Zeile des Refrains in meinem Kopfkino über die Leinwand: „Who do we think we are?“ – Wer glauben wir zu sein…? Klar war damit, dass ich diesmal nicht in meiner Muttersprache, sondern in Englisch schreiben würde und dann bin ich abgetaucht. Blubb. Der darauffolgende Sonntag, eben der 22. November, wird zum Geburtstag von „LiSTEN!“. Die Melodie des Refrains summe ich schon mit Morgenkaffee in der Hand und ich schreibe, wie besessen, den ganzen Tag. Abends um acht bin ich fertig und singe das längste Lied, das ich je geschrieben habe, von vorne bis hinten auf mein smartes Phone und natürlich Enzo vor.
„Du singst mir aus der Seele“, sagt er – ich erfasse kaum, was er da sagt, und sprudle schon weiter: „Jetzt wünsche ich mir einen jungen Musiker, am besten mit Tonstudio, der dieses Lied mit mir inszeniert und komponiert. Und ich wünsche mir, dass es noch vor Weihnachten in die Welt geschickt wird!“ Möglicherweise hab‘ ich in meinem Eifer die Wunscherfüllungsfee völlig übersehen, aber sie muss dagewesen sein, denn… Montags fahre ich nach Baden-Baden zu meinem Bruder und treffe Pirmin Styrnol, seinen neuen Mitarbeiter. Natürlich teile ich mit, was ich in der Tasche habe, und erfahre, dass eben jener auch einen Bruder hat, Maik Styrnol, der – ich halt’s im Kopf nicht aus – Komponist und Musiker ist! Gemeinsam haben die zwei übrigens erst kurz zuvor ihr OnChair.Bros Tonstudio und Audioproduktionsunternehmen gegründet. Padamm, padda! Pirmin baut die Brücke zu Maik, wir telefonieren und vereinbaren ein erstes Treffen am Mittwoch im Studio in Lahr.
Dienstags geh‘ ich mit meinem Songtext bei unsern Freunden Guddi und Len vorbei. Len ist Kanadier, die Musik verbindet uns tief, und ich unterbreite ihm, mit einem gerüttelt Maß Unsicherheit ob meiner englischen Sprachkompetenz, den Text zum Korrekturlesen. Völlig fehlerfrei ist er nicht, aber auch nicht grottenfalsch. Zusammen arbeiten wir in knappen zwei Stunden die letzten Feinheiten heraus und überprüfen immer wieder auf Singbarkeit. Len, selbst Vater und Großvater, ist vom Inhalt berührt und inspiriert und steuert die gedankliche Basis von Strophe 6 bei: „…most powerful men on this earth, aren’t as powerful as a new birth…“.
Tags drauf fahre ich zum ersten Mal nach Lahr und lerne Maik kennen. Er liest meinen Text, findet ihn „stark“ und bittet mich das Lied mal eben so einzusingen. Mach ich. Er nimmt’s auf. Danach beam ich ihm meine groben, musikalischen Vorstellungen rüber und er mir seine. Zwei Stunden später verabschiede ich mich schon wieder, weil der Meister erstmal brüten muss und fühle mich irgendwie stiefmütterlich – als hätte ich mein Baby irgendwo in der Fremde abgegeben. Abends um zehn landen zu meiner Erleichterung schon die ersten Ideen von Maik in meinem Dropbox-Account und ich lausche und wachse hinein in seine Klangwelten. Wir tauschen uns aus, ich sag ihm, was mir gefällt und was nicht, er bastelt weiter und eine knappe Woche später fahre ich bereits zum zweiten Mal nach Lahr, um den Gesang zu Maiks musikalischer Komposition aufzunehmen.
Fünf Treffen sind nötig, bis die Stimme, die Einsätze, die backing vocals so sind, wie wir sie hören wollen. Nebenbei entwickeln wir ein Cover, brüten über Videoideen, ich trete der GEMA bei und Maik entdeckt „Hey!blau“ in Köln, die uns beim Online-Vertrieb unseres Songs unterstützen.
Das Resultat dieses gut vierwöchigen „Ausnahmezustands“ kann ich nach wie vor selbst kaum fassen. Genauso wenig die Tatsache, dass aus meiner Wut und meiner Trauer über soviel Unfassbares, ein Lied entstand, dass ich unter anderen Umständen nie geschrieben hätte…